Angst frisst die Seele auf- wenn man sie lässt
Michael S. Zerban, O-TON
[…] Dass Maura Morales Kraft- oder Energiefelder aufbauen kann, hat sie bereits mehrfach bewiesen. Aber mit Phobos übertrifft sie sich selbst. Hier werden Ängste und Lösungsangebote ausgelobt, ohne sie dingfest machen zu können. Der scheinbar schonungs- und nahezu tabulose Umgang mit den Körpern ihrer Tänzerinnen Anila Mazhari, Latisha Sparks, Elena Valls und Paula Serrano ist von einer Intensität, die mehr als einmal Gänsehaut verursacht. Eine Stunde lang mag man kaum Atem holen. […]
Maura Morales hat nichts weiter als ein Meisterwerk vorgelegt. Mit ihrer aufregenden Bewegungssprache hat sie den Menschen an die Seele gefasst. Die Choreografin hat jetzt endgültig ein größeres Publikum verdient. […]
Maura Morales im FFT: Aufschrei der Tänzerinnen
Clemens Henle, Rheinische Post
[...] Herausgekommen ist ein mitreißendes Tanzstück, das trotz des ernsten Themas durch wahnsinnige Tanzfreude und technisches Können begeistert. Während der zeitgenössische Tanz oftmals verkopft und wenig tänzerisch daherkommt, gibt es in diesem Stück eine geballte Ladung Energie, Mut, Wut, Zusammenhalt und Könnerschaft auf der Bühne zu sehen.
Aufwühlendes Tanztheater im Mülheimer Ringlokschuppen
Dennis Vollmer, WAZ
Mülheim. Ein Jahr Metoo-Debatte: Choreografin Maura Morales zeigt mit „Phobos“ ein vielschichtiges Stück über Emanzipation – zwischen Spannung und Scham.
Etwas ist kaputt in unseren Körpern, in unserer Gesellschaft, zwischen Frau und Mann. In „Phobos“ zucken die Leiber der fünf Tänzerinnen wie gebrochene Maschinen, ringen wie entfremdet mit ihren Armen, Beinen, Brüsten. Ein Jahr nach Beginn der Metoo-Debatte bringt die Choreographin Maura Morales ein hochbrisantes wie aufwühlendes Tanztheater auf die Ringlokschuppenbühne, das zugleich Scham hervorruft und doch voller Kraft und Widerstand steckt.
„Ich wollte ursprünglich über die Angst sprechen“, bekennt Morales während der letzten Proben, doch bei ihrer Arbeit an Phobos entstand unter den fünf Tänzerinnen noch mehr als das: Stärke, auch Wut. Dieser sich allmählich regende, innere Widerstand keimt auf der Bühne in einigen Momenten auf.
Der Voyeurismus verliert seine Kraft
Wenn etwa sich die Tänzerinnen aus ihren wie unfreiwillig zuckenden, fremdgesteuerten Bewegungen plötzlich an ihre Brust fassen mit einem entschlossenen Blick in das Publikum, verliert der Voyeurismus, dem der weibliche Körper immer schon gesellschaftlich auf Plakaten, in der Werbung und auch im Theater ausgesetzt ist, seine Kraft.
Frau erwidert den Blick des ,unsichtbaren’ betrachtenden Publikums – allein das gilt im konventionellen Theater wie im Filmgenre als Irritation, als Affront. Der Griff an die Brust oder in den Schritt geht weiter, ganz anders als der erotische Griff ans Geschlecht, mit denen Madonna, Prince oder Michael Jackson selbstbewusst kokettierten, ist er eine Geste der Zurückeroberung, will sagen: Das gehört mir.
Das schafft Irritationen, gerade beim Betrachter. Doch Phobos steigert dies zu einem wahren Gefühl des Unwohlseins, zur Scham. „Are you comfortable?“, zu deutsch „Fühlen Sie sich wohl?“, leitet nicht nur überraschend einen wütenden Monolog ein. „Ich fühle mich nicht wohl.“ Die direkte Ansprache ans Publikum rückt das Stück in direkte Nähe zur „Metoo-Bewegung“, die vor einem Jahr begann und in ihrer Debatte längst nicht beendet ist. Ist es in Ordnung, auf diese Frauen zu schauen? Es wird fast beklemmend, wenn sich anschließend die Tänzerinnen im Publikum entkleiden.
Zwischen Schauen und Scham
Eigentlich wäre dieser Monolog nicht notwendig, denn in dieser aufwühlenden Spannung zwischen Schauen und Scham arbeitet Phobos schließlich von der ersten Sekunde an konsequent in subtiler wie konfrontativer Weise. Gleich zum Anfang liegen die nackten Tänzerinnen in teils erotischen Posen auf der reduzierten Theaterbühne. Doch kaum erwachen sie zum Leben, wird die Illusion dieser scheinbar schönen und intakten Frauenkörper zerstört. Sie zittern, fallen, ringen mit sich. Was bewegt sie? Wer?
Stück für Stück wird der Tanz der Frauen zum Kampf um die Kontrolle über den eigenen Körper, den die Tänzerinnen mit begeisternder Präzision darlegen. Komponist Michio Woirgardt liefert dazu eine düster-treibende Soundkomposition, die virtuos mal zwischen verräterisch sanftem Kinderlied und energiegeladenem Beat wechselt, der wie ein schnaubender Zug über die Bühne fährt. Am Ende dieser rasanten Fahrt verlässt Phobos die Angst, wird zu einem vielschichtigen Stück über Emanzipation.