Pressestimmen zu “Phaidra- Die Virtuosität des Leidens”

Unerwidertes Verlangen

Steffen Tost in der WAZ

Das Tanzkollektiv Maura Morales hat heute mit „Phaidra“ Premiere im Ringlokschuppen. Schon beim Probendurchlauf beeindruckt die emotionale Wucht der Choreographie und die musikalische Begleitung

Die Cooperativa Maura Morales ist ein Garant für starke Emotionen, Energie und körperliche Verausgabung. Der Blick auf die Frau ist Programm, egal, ob es „Wunschkonzert“ nach Franz Xaver Kroetz, Saramagos „Stadt der Blinden“ oder die Umdeutung von Camus Mythos „Sisyphos war eine Frau“ getanzt wird. So ist es auch bei der jüngsten Produktion, die heute im Ringlokschuppen Premiere hat und von dort aus über Hannover, Düsseldorf und Braunschweig in die ganze Welt geht. Die emotionale Wucht in „Phaidra“ war schon bei der Probe gewaltig, bei der die aus Kuba stammende Tänzerin und ihre beiden Partner nur zwei Drittel ihrer Kraft gegeben haben. Was erwartet da erst das Premierenpublikum?
Unerwidertes Begehren

Der Stoff ist fast 2500 Jahre alt, Euripides hat ihn wohl gleich zwei Mal verarbeitet und doch ist der Konflikt so grundlegend für das Zusammenleben, dass er immer wieder aufgegriffen wurde und zu Neuem geformt wurde: in jüngerer Zeit auf der Bühne etwa von Sarah Kane oder auf der Leinwand in Krieg der Götter. Es geht um den verstörenden animalischen Sexualtrieb, aber in einer Zeit, in der es immer noch selbstverständlich ist, dass ein alter Mann eine junge Frau hat. Hier erscheint es umgekehrt. „Phaidra, im Herbst ihrer Weiblichkeit, verliebt sich, nicht nur, um sich zu beweisen, dass sie noch begehrenswert ist, in ihren Stiefsohn“, erzählt Michio, der mit Maura Morales seit sechs Jahren ein künstlerisches Tandem bildet und für jede Produktion neue Tanzpartner engagiert.

Aber das Gefühl wird nicht erwidert. Die Zurückweisung löst eine heftige Kränkung aus. „Die Virtuosität des Leidens“ heißt das Stück auch im Untertitel, der Stoff habe die Tänzerin schon seit langem gereizt. Die Verletzung ist so stark, dass sie nicht mehr leben kann und auch noch den geliebten Hippolytos mit falscher Schuld belädt. Das spiegelt sich im Tanz wider, in aufwühlenden Bewegungen, die sie zerreißen, sie stürzt zu Boden, rappelt sich wieder auf. Zuvor hat sie das zum Dutt geknotete lange Haar gelöst, vergeblich versucht sie ihn zu bezirzen. Bevor sie geht, spuckt sie angewidert aus. Die Seile am Bühnenrand verweisen auf den bevorstehenden Suizid, der aber nicht gezeigt wird.

Die Männer tanzen unterschiedlich, aber beide großartig: der Koreaner Chang Ik Oh, Phaidras Mann, eher bodenständig, Yota Peled ist ein Luftikus, der Atemberaubendes am Vertikalseil vollbring. Er klettert hoch, indem er das Seil mit den Zehenzwischenräumen (!) hält, wickelt sich ein und lässt sich zirkusreif fallen – und wird von einer Schlaufe gehalten. Das muss man gesehen haben. Jedes antike Drama hat einen Chor. Hier sitzt er singend auf einer Artisten-Schaukel.

„Keine Bewegung um ihrer Selbst willen“, lautet das Credo das Teams. „Das Gefühl muss von Innen kommen“, erklärt Michio zuvor. Die Geschichte ist auf die drei konzentriert, alles Nebensächliche fällt weg. Einmal stehen die drei strahlend wie zu einem Familienfoto zusammen. Nach gut einer Stunde ist der Tod an die Stelle der familiären Idylle getreten.

Aber was wäre der Tanz ohne die kongeniale Musik, die wie ein gut geölter Motor das Treiben auf der Bühne bis zur Höchstgeschwindigkeit antreibt. Die Mittel, die Michio einsetzt, sind so minimal wie effektvoll. Sie werden Dank digitaler Technik gesampelt, geschichtet und beschleunigt. Da reicht es, etwas Wasser in eine Espressokanne zu gießen, dass Gluckern wird ebenso zum musikalischen Muster wie der Schlag gegen die Cajón, der Flamenco-Kiste, auf der er sitzt. Es sind noch einige Alltagsgegenstände mehr, derer er sich bedient. Er ratscht über die Rillen eines Schlauches und auf die pulsierenden Beats setzt er entrückte Gitarrenklänge.

Steffen Tost
 

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