Cooperativa Maura Morales zeigen in der Fabrik Heeder Krefeld
EPICDERMIS
Von Thomas Linden
Die Haut ist das größte Wahrnehmungsorgan des Menschen. Wobei die Besonderheit der Epidermis – der oberen Hautschicht – darin besteht, dass wir mit ihr auf doppelte Weise wahrnehmen. Wir erspüren die Beschaffenheit der Außenwelt und erhalten zugleich eine Information darüber, wie wir selbst fühlen. Ein ideales Sujet für den Tanz. Indem wir das Andere erforschen, erfahren wir etwas über unser eigenes Wesen. Die Düsseldorfer Choreographin Maura Morales variiert diesen Dialog zwischen Ich und Welt in ihrer aktuellen Produktion „EPICDERMIS“ mit einer unglaublichen Virtuosität. Das fünfköpfige Ensemble (Martha Gardner, Kira Metzler, Giulia Russo, Dario Rigaglia, Matthew Branham) kleidet sich in vollkommener Stille an und aus, und während das noch geschieht, entspinnt sich ein Kampf zwischen Mann und Frau. Begehren und Widerstand entflammen. Wobei das auf den Bühnen des Tanzes oftmals gezeigte Sujet des Kampfes hier erfrischend in neue Gesten und Situationen mündet. Die Choreographie orientiert sich ganz an natürlichen Bewegungsabläufen, die kühn getanzt werden und die Physis der Paare wuchtig ausspielen. Zwei Willen prallen auf Augenhöhe gegeneinander. Eine mitreißende Eröffnung des Abends.
Wie fruchtbar das Thema Haut und Oberfläche sein kann, zeigt sich schon hier im dialektischen Verhältnis von Nähe und Distanz, in dem viele widersprüchlichen Gefühle eine Rolle spielen. Vereinnahmung kann sich da letztlich auch einmal in Geborgenheit verwandeln. Beim Rollenspiel allein macht Maura Morales nicht Halt. Sie dringt in die Tiefe ihres Sujets vor und zeigt auch die inneren Widersprüche. So lösen sich die Paare des Beginns in Individuen auf, die entweder solistisch agieren oder in erstaunlicher Synchronietät in Gruppenformation tanzen. Für reizvolle Ensemblebilder besitzt Morales ein ebenso feines Talent, wie für elegante Übergänge in ihrem Bewegungsrepertoire. In fast jeder Situation hat man den Eindruck, dass diese ausdrucksstarke Truppe weiß, was sie will. Darin liegt die erotische Wirkung ihres Auftretens und die dramatische Spannung, da nie voraussehbar ist, was als nächsten Moment geschieht.
Die Haut führt unweigerlich zur Lust, deren brennende Qual immer einmal wieder aufflammt. Die Paare wechseln. Diversität ist so selbstverständlich, dass man sie fließend in das Bühnengeschehen integriert. Schwieriger gestaltet sich die Darstellung der Sexualität. Ein Sujet, das selten explizit auf Tanzbühnen angegangen wird. Maura Morales weicht auch hier den Forderungen ihrer Konzeption nicht aus, bedient sich jedoch stilisierter Gesten, die dann doch bemüht wirken. Das sind die Situationen, in denen diese wunderbare Produktion etwas an Überzeugungskraft verliert. Auch der ansonsten durchweg tragende Sound von Michio Woirgardt gleitet hier stellenweise in eine Sanftheit ab, der es dennoch gelingt, Kitsch zu vermeiden.
Solch vereinzelte Szenen integriert Maura Morales geschmeidig in eine Choreographie voller Dramatik, Pathos und hohem Tempo, das sie gegen Ende noch einmal steigert. Ihr Mut, in die leidenschaftlichen Tiefen der Conditio Humana vorzudringen, nimmt fast die Ausmaße eines Exorzismus an. Aber es ist eben genau dieser Versuch, mit aller Konsequenz der schwer fassbaren Sinnlichkeit der Menschen Gestalt zu geben, der „EPICDERMIS“ in eine so außergewöhnlichen Produktion verwandelt. Wie sehr das Ensemble den Raum in der Fabrik Heeder mit Energie aufzuladen vermochte, zeigte sich dann im enthusiastischen Applaus des Publikums. „EPICDERMIS“ ist ein Erlebnis, das sollten die wissen, die noch die Chance haben diese Produktion zu sehen.